Oder Apollinaires Gedächtnis
(Qumran Verlag)
Sonderpreis der Kranichsteiner Literaturtage
Theaterpreis der Autorenstiftung Frankfurt
Von einem Granatsplitter am Kopf getroffen, muß sich der Soldat und Dichter Guillaume Apollinaire einer Operation unterziehen. Mithilfe eines Spiegels kann er sein bloßgelegtes Gehirn betrachten, den Schauplatz der Erinnerungen. Er blickt auf eine Welt ohne Haut und Fleisch, dafür von Stoffen, Kostümen, von Kulturen überzogen. Meistermodelle. Die EUROPI als hellhäutige Herrscher. Geschliffen, überscharf sichtbar gemacht in einer Serie von Spielen. „Das zu neuen Ufern Spiel“, das „Apollinaire vor einem Tonaufnahmegerät Spiel“ oder „Das Amour fou und Keep smiling Spiel“. Mechanik und Melodik eines Geschlechts, dessen Maße festgelegt sind, endgültig definiert. Platt und satt und überzeichnet, als hätte ein Dekorateur es gezeugt. Hätte seinen Entwurf gedreht und gewendet, gemalt und übermalt, vollendet, abgerundet. Die heiter helle Sonntagswelt geschmückter Barbaren.
(Das „Spiel vom „siebenjährigen Mozart“) MYTHENKINDHEIT KÖCHELVERZEICHNIS 296. Im Grunde ein kriminelles Kind mit dem Mut zum Delikt. Die zierliche Notenschrift täuscht. KIND ODER MANN. AUF ALLE FÄLLE EIN UNGEHEUER. Seine Polyphonie, eine Schikane gegen die Zuhörerschaft. Noch sieht man dem kleinen Perückengesicht die Büste nicht an. Vertrauensselig steht man der anmutigen Drohung gegenüber, der WÜSTENHAFTEN EINSAMKEIT EINES ROKOKOKINDES. Leck mich das Mensch im Arsch, das mich nicht will. Auch er muß sich die Schuhe binden, muß sich kratzen, muß für Kamm und Seife sorgen. Das besänftigt, es mildert den Anblick der trommelnden, gewissermaßen unablässig klavierspielenden Finger. Und aller anderen Gesetzwidrigkeiten und unstatthaften Täterschaften.
Stimmen
„Europäisches“ in der Form von Kondensaten. Die Naturgeschichte des Bewusstseins ist ein Omnipotenztraum aus dem bürgerlichen Heldenleben. Eine Sekundärwelt, eine Vitrinenszenerie, vielfach reproduziert. (Sibylle Cramer, Frankfurter Rundschau)
Wie einem ethnologischen Museum entkommen, tritt ein bunter Reigen von Kunstfiguren auf, damit beschäftigt, ihre zivilisatorischen Spiele in Szene zu setzen. Die Welt ist hier nur noch als Abbild zu erkennen. (Felix Philipp Ingold, Neue Zürcher Zeitung)
Ein Endspiel, aber eines ohne metaphysische Tiefe, ohne apokalyptische Schwere. Stattdessen eine sarkastische Abschiedsvorstellung fürs ramponierte Abendland, eine groteske Revue, ein Zukunfts-Comic, funkelnd vor Sprachwitz und Ironie. (Ursula Keller, Laudatio Roswitha-Preis, Bad Gandersheim)
Den Frauen fällt ein Sonderstatus zu. Im Rahmen des männlichen Aufklärungsdiskurses, sind sie, vergleichbar mit den „Wilden“, zu Projektionsflächen für nicht anpassungsfähige Wünsche geworden. (Petra Waschescio: Gisela von Wysockis ABENDLANDLEBEN in Women in German Yearbook, Vol.9)
Eine fabelhafte Nummernrevue mit Verve und Witz, von der Autorin ursprünglich für das Theater geschrieben, aber wohl kaum aufführbar. (Harald Justin, Basler Zeitung)
Die Szenen dieses dramatischen Textes scheinen aus der Revue einer nachgeschichtlichen Gegenwart zu stammen. Gisela von Wysocki erschafft in ihrem Abendlandopus Signalketten, arbeitet mit kodierten Geschichten: Ereignisse sind Patterns, Erlebnisse Muster. (Christina Weiss, Süddeutsche Zeitung)