Gisela von Wysocki

STUBENRING UND TAUENTZIEN

Reisen zwischen Wien und Berlin

Inszenierter Essay

Aufführung Literaturhaus, Frankfurt am Main (2000) Mit Stefan Wilkening, Moritz Stoepel, Ingrid Schaller, Christian Hoening, Sissi Tax und die Autorin

Ein Nachdenken über zwei kulturelle „Systeme“. Wien und Berlin mit ihren verschiedenartigen Vorstellungen von Realität und Fiktion. Fritz Kortner hat Berlin eine „Crescendo-Stadt“ genannt. Karl Kraus sein Wien als „Isolierzelle“ beschrieben. Die Wiener Enge bildet ein gestautes Universum der Schnittpunkte. Berlin ist damit beschäftigt, dem Mythos des Neuanfangs gerecht zu werden. Der fiktive Dialog eines jungen, in Berlin lebenden Paares und die musikalischen Einspielungen – zum Beispiel Wiener Lieder, Kurt Weills „Happy end“ – verknüpfen die Sprachdokumente aus Wien und Berlin.

Es ist gleichgültig, von welcher Seite aus man sich der Stadt nähert. So oder so stellt sich unweigerlich das Gefühl ein, in Wien zu sein. Was macht diesen Ort so unverkennbar, so geradezu hoffnungslos unverwechselbar? In der Mittagszeit ist das am deutlichsten zu spüren. Die Gassen wirken wie aus Ewigkeit gemacht. Etwas Altes nistet in ihnen. Ein verläßliches Früher, ein stabiles Wurzelwerk. Dies behaftet mit den Zügen des Phantomhaften, Erfundenen. Die Stadt wirkt solide und surreal zugleich. In bestimmten Bezirken reihen sich die Häuser, Tankern gleich, in eine weitgestreckte Ferne. Trotzdem das Gefühl einer enggefaßten, überfüllten Häuslichkeit. In den großen Straßen lagert Familiensinn. In den Gassen staut sich eine krasse Form der Intimität.