Gisela von Wysocki

WEIBLICHKEIT UND MODERNITÄT

Über Virginia Woolf

Essay
(Qumran Verlag)

Virginia Woolf studierte die Maskeraden des Weiblichen wie einen Text; sie war eine Exegetin. Frauen reden von sich in einer Zeichensprache. Sie haben keine allgemeinen Wahrheiten parat, jede zeigt ihre vereinzelte, eigene Wirklichkeit. „Eine Frau plus eine Frau plus eine Frau wird niemals zu einem Gattungsbegriff führen.“ Virginia Woolf zeigt sie als komische und gleichzeitig bewegende Darstellerin ihrer selbst. Ihre Spielräume werden vermessen: die unausweichlichen Klischees und die Exaltationen, die als Leben erscheinen.

Wer sie beherrschen möchte, muß die Fähigkeiten eines Dompteurs besitzen. Virginia Woolf ist nicht die Meisterin ihrer Geschöpfe. Wie losgelassene Geister oder wie Erinnyen werfen sie sich über sie. Existenzen im Kriegszustand, ohne Hoffnung auf Wiederauferstehung wie bei Marcel Proust durch die mémoire involontaire. Sie monologisieren, ihr Kontakt ist abgerissen: sie sprechen nicht miteinander, nicht mit den Lesern, nicht mit der Autorin. Sie sind autark wie Schiffe auf dem Ozean. Im offenen und zugleich flachen Universum der handelnden Personen werden sie der gleichen Bestürzung ausgesetzt, wie sie Woolf selbst während des Schreibens empfand.

Stimmen

Eine Autorin, deren kühler Verstand Wissenschaft mit eigener, lyrisch-experimenteller Sprache füllt. Auch hier gehört ihr Herz wieder einer der Deserteurinnen: Virginia Woolf. Der Blick der Wysocki geht stets in die noch so kleine Pore Haut, gräbt sich ein. Faules Blättern nützt hier nichts! (Anna Rheinsberg)

In den Romanen und Erzählungen Virginia Woolfs wird die Heldensprache des viktorianischen Universums unterminiert, das Spektakel der männlichen Persönlichkeit verweigert. Die Kunst der Charakteristik bewährt sich an den Dingen: „das Mobiliar der Romane sind Glocken, Uhrzeiger, Kalender, Jahreszeiten. Diese Welt ohne Transzendenz hält sich an die Chronometer“. (Lothar Müller, Rede zum Heinrich-Mann-Preis, Akademie der Künste)

Knappe 135 Seiten hat Gisela von Wysocki über Virginia Woolf geschrieben – und der kleine Band ersetzt schwere Wälzer. Der Text funkelt von Formulierungen, die den Leser zum Mitdenker und – warum nicht? – zum Widerspruchspartner machen auf der Suche nach der Wahrheit über Leben und Werk Virginia Woolfs. (Rolf Michaelis, DIE ZEIT)

Einmal heisst es, Virginia Woolf beschreibt das Gewebe der Menschen und Dinge, nicht ihr Skelett. Nicht ihr Rückgrat, nicht ihre ‚Substanz’, sondern das, was an ihnen veränderlich, beweglich, zerbrechlich ist. (Birgit Volmerg, PSYCHE)

Die Autorin schildert die vielfältigen Einflüsse, die Virginia Woolf dazu gebracht haben, „das Unversöhnbare und den Widerspruch als Reichtum des Realen“ zu erfassen. Man ist bezaubert durch eine Leichtfüssigkeit des Stils, die die Kärrnerarbeit vergessen lässt, ohne die klare Prosa nicht möglich ist. (Renate Wiggershaus, Frankfurter Rundschau)