Gisela von Wysocki

PETER ALTENBERG

Bilder und Geschichten des befreiten Lebens

Essay
(Europäische Verlagsanstalt)

Mit der Lust am Missklang, mit der Fähigkeit für das Chaos und damit für den kosmopolitischen Zustand der Gesellschaft, entscheidet sich Altenberg für die im Anbruch der Moderne noch denkbaren, noch vorstellbaren neuen Wege des Ich. Seine Dichtungen lesen sich heute als Dokumente aus der Geschichte des Subjekts. Sie weisen auf eine sich differenzierende „Seele“, auf eine neue, hochkomplexe Individualität. Deren Rhetorik, sprachlich, gestisch, „physiologisch“, ist der Motor der Altenbergschen Prosa. Sie hat wohl am weitestgehenden erkannt, dass genau diese nervöse Zersplitterung des Ich ein Potential bedeutet; auf eine Macht hinweist. So gesehen, stellen Altenbergs moderne Subjekt-Künstler heute eine Provokation dar. Intelligenzen, die sich für nichts verschwendet haben; in ihrer Fixierung auf ein „Jetzt“, das in der Wirklichkeit keine Fortsetzung fand.

Ich entdeckte die blauen Bände aus dem Fischer Verlag als Kind im Bücherschrank meiner Eltern. Dabei wusste ich nie genau, warum ich die kleinen Geschichten, Briefe, Postkarten-Texte immer wieder las: worum ging es hier „eigentlich“? Aus weiter Ferne kamen die Wörter auf mich zu, aber auch dann behielten sie etwas Unerreichbares. Waren unscheinbar und doch eindringlich wie alle Geheimnisse. An manchen Tagen blätterte ich nur nach Überschriften: „Café Chantant“, „Die Zuckerfabrik“, „Wie ein Bild“, „Ashantee“, „Annie Kalmár“. Ich steckte tief in den Gerüchten, die ich um diese Wörter erfand.

Stimmen

Eine Studie, ohne die Spur einer pedantischen Methodik, eher schon als „Dichtung“ über Dichtung, sehr wienerisch in ihrer souveränen Essayistik: die Arbeit ausserdem ganz unmissverständlich nicht nur die einer Frau, sondern einer, die selbst im Ambiente der Sprache lebt. (W. Paulsen, Modern Austrian Literature, Vol. 22 No.2)

In behutsamer Darstellung werden die Konstellationen beschrieben, in den sich dieser skurrile Wiener Sonderling so selbstverständlich fremd bewegte. Sie umkreist Altenberg, in seiner Epoche, bildhaft genau, ohne auf die Einsichten der Sozialgeschichte und Ideologiekritik zu verzichten. (W. Martin Lüdke, DIE ZEIT))

Verklärungen können ruinös wirken, davon sprach Egon Friedell. Bei Gisela von Wysocki erscheinen sie als Rettung eines männlichen Vorläufers, Peter Altenberg, auch für ihr eigenes Schreiben. Sie bilden eine Brücke zu ihren späteren Befunden in den „Frösten der Freiheit“. Fröste, von denen Frauen, die aufbrechen, befallen werden. Moderne Risiko-Existenzen, die sich darauf einliessen, „keine Illusion mehr zu haben und doch Hoffnung“. (Monika Schattenhofer, Süddeutsche Zeitung)